In meiner Praxis habe ich immer wieder mit Eltern zu tun, die ihren Kindern keine Grenzen setzen. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Einige Eltern verzichten möglichst auf Grenzen, weil es „In“ ist, Kinder selbst entscheiden zu lassen. Andere Eltern haben Angst vor Reaktionen der Gesellschaft und sind der Meinung, dass es zu autoritär ist, ihren Kindern Grenzen aufzuzeigen. Sie sind verunsichert, ob und wie sie Grenzen setzen dürfen. Sie haben Angst, die Liebe ihres Kindes zu verlieren. Wieder andere Eltern, insbesondere dann, wenn ihr Kind eine Behinderung hat, wollen ihrem Kind alle Wünsche erfüllen und ihnen nicht auch noch Dinge verbieten. Er/sie hat es ja schon schwer genug…

In diesem Artikel möchte ich Ihnen, liebe Eltern, aufzeigen, warum es wichtig ist, Ihrem Kind, Ihrem autistischen Kind, Grenzen zu setzen.

Für die gesunde Entwicklung eines Kindes in den ersten Lebensmonaten müssen die Bedürfnisse nach Zuneigung, Schutz und Nahrung bedingungslos und verlässlich befriedigt werden. Kleinkinder brauchen das unbedingt, um Sicherheit und Urvertrauen entwickeln zu können – und letztendlich, um überhaupt überleben zu können.

Nach und nach lernen Kinder, ihre eigene Bedürfnisbefriedung zurück zu stellen. Sie lernen also, abzuwarten und zu akzeptieren, dass auch andere Menschen Bedürfnisse haben und ihre eigenen Bedürfnisse nicht immer Vorrang haben können. Das sollten sie zumindest unbedingt lernen, um im späteren Leben zurecht zu kommen. Es gibt Dinge, Gefahrenquellen oder Entscheidungen, wovor wir die Kinder schützen müssen. Nämlich dann, wenn sie für sich selbst, für andere oder für bestimmte Situationen noch keine Verantwortung übernehmen können. Und da ist es wichtig, eine Grenze zu setzen.

Partizipation, also die Mitbestimmung der Kinder ist zweifelsohne richtig und wichtig – in den Bereichen, in denen das Kind selbst- oder mitentscheiden kann.

Partizipation und Grenzen – das Eine schließt das Andere nicht aus.

Niemand lernt etwas, wenn keine eigenen Erfahrungen gemacht werden dürfen. Kinder müssen Erfahrungen machen und Dinge ausprobieren. Grenzen müssen selbstverständlich altersentsprechend angepasst werden. Ältere Kinder können schon mehr Verantwortung übernehmen. Ihnen sollte mehr zugetraut werden und gewisse Entscheidungen überlassen werden.

Und natürlich braucht jedes individuelle Kind individuelle Grenzen, je nach Entwicklungsstand, Stärken und Schwächen, weil jedes Kind unterschiedlich lernt.

Insbesondere autistische Kinder können aufgrund ihrer Wahrnehmungsverarbeitungsstörung Gefahren oft nicht richtig einschätzen. Auch ist der Drang, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, oft sehr groß. Es fällt ihnen oft noch schwerer, eigene Interessen zurück zu stellen als anderen Kindern. Umso wichtiger ist es für die Eltern, konsequent zu sein und Grenzen konsequent durchzusetzen.

„Nein“ heißt „Nein“ und „Nein“ bleibt „Nein“

Ihr Kind wird Ihr „Nein“ natürlicherweise nicht sofort akzeptieren. Es wird protestieren, weinen und schreien. Für Sie ist es an dieser Stelle ganz wichtig, ruhig zu bleiben, die Nerven zu behalten und bei Ihrer Entscheidung zu bleiben.

Die Reaktion Ihres Kindes ist völlig normal und ganz natürlich. Ihr Kind wird Sie beobachten und genau testen, wann Sie endlich nachgeben. Geben Sie jetzt nach, wird Ihr Kind in jeder folgenden Situation wieder so lange schreien, bis es seinen Willen bekommt. Sie müssen also ruhig bleiben, durchatmen und geduldig sein.

Glauben Sie mir, Ihr Kind wird es Ihnen danken. Bleiben Sie bei Ihrer Entscheidung – jetzt und auch in anderen Situationen – geben Sie Ihrem Kind Sicherheit und Verlässlichkeit.

Ihr Kind wird, wenn es gelernt hat, dass es keinen Sinn hat, zu protestieren, künftig nicht mehr minutenlang schreien. Und abgesehen davon ist es für die weitere Entwicklung Ihres Kindes ebenfalls wichtig, Ihrem Kind liebevolle Grenzen zu setzen. Es lernt somit, Frustrationen auszuhalten und eine Frustrationstoleranz zu entwickeln. Ihr Kind kann darauf vertrauen, dass Sie die Verantwortung übernehmen, wenn es notwendig ist. Dadurch fühlt es sich sicher und geschützt.

Kinder brauchen Grenzen und Kinder müssen lernen, mit Frust und Widerstand, mit Gefühlen wie Trauer, Wut und Enttäuschung umzugehen.

Kinder brauchen Regeln

Im familiären Umfeld lernen Kinder, dass es Regeln gibt, an die man sich halten muss. Es ist wichtig, dass Kinder verstehen, dass das Nicht-Einhalten von Regeln Konsequenzen hat. Liebevolle Konsequenzen, versteht sich. Der Mensch muss sich an gesellschaftliche Strukturen anpassen und gesellschaftliche Regeln einhalten. Und genau das müssen Kinder schon im Elternhaus lernen.

Eltern sollten dabei unbedingt darauf achten, dass aufgestellte Regeln für ihr Kind sinnvoll und nachvollziehbar sind. Bei autistischen Kindern kann man mit wenigen Regeln anfangen. Regeln, die eingehalten werden, damit das Kind Sicherheit und Verlässlichkeit erfährt. Nicht, um es zu ärgern. Sie selbst können dann am besten einschätzen, wann Regeln etwas komplexer werden können, und wann sie auch mal Ausnahmen haben können, ohne dass die Regel sofort verfällt.

Überlegen Sie sich vorher gut, welche Regeln Sie aufstellen wollen, damit Sie diese auch einhalten können, wenn Sie sie ausgesprochen haben. Und sagen Sie nie etwas, was Sie sowieso nicht einhalten können. Beispiel: „Wenn du dich jetzt nicht anziehst, kommst du nicht mit“ ist völliger Quatsch – Sie lassen Ihr Kind doch nicht allein zuhause! Also sagen Sie es auch nicht. Dadurch lernt Ihr Kind nämlich: Mama und Papa sagen sowieso ständig Dinge, die sie nicht so meinen.

Regeln und Grenzen hin oder her: Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel und Eltern dürfen gern mal ein Auge zudrücken…

Liebe Eltern, haben Sie keine Angst davor, Grenzen zu setzen und Regeln aufzustellen. Ihr Kind wird Sie kein bisschen weniger lieben. Im Gegenteil. Es wird Ihnen dankbar sein für die Sicherheit und den Schutz, den Halt und die Verlässlichkeit, die Sie ihm dadurch geben.